Forsthaus MeusebachSeit ich denken kann, wird mir, sobald bekannt wird, dass ich aus Meusebach bin, die gleiche Frage gestellt:
Stimmt es denn, dass es in Meusebach keine Spatzen gibt?

Bei meiner Beschäftigung mit der Geschichte von Meusebach bin ich in einem alten Büchlein auf eine recht ausführliche Variante der Sage vom Sperlingsbann gestoßen, die in späteren Jahren dann  etwas verkürzt in verschiedenen Sagensammlungen auftaucht.
Ebenso wie es die Spatzen getan haben!

Neben mir können sich viele daran erinnern, dass es bis in die 1980er Jahre Spatzen gab, während sie dann verschwunden schienen. Im Jahre 2000 erschienen sie allerdings wieder auf der Bildfläche und sind, nicht zuletzt dank der Hilfe der Tissaer Freunde, wieder im Dorf präsent.


Um jedoch den allen bekannten “Status” des “Dorfes ohne Spatzen” nicht zu verlieren, wird dies von uns natürlich energisch geleugnet.

Meusebachs Sparrows Spell in english here!


Hier nun die Sage vom Sperlingsbann

Der Sperlingsbann in Meusebach
(aus “Holzlandsagen” von Kurt Greß, 1898)

SperlingsbannklSeit Menschengedenken und weit darüber hinaus ist in dem Dorfe Meusebach kein einziger Sperling gesehen worden. Keiner dieser in Städten und Dörfern so zahlreich verbreiteten Vögel baut dort sein Nest, noch nistet er dort, wenn man ihn dahingebracht hat. Es ist, als wenn das Geschlecht der Spatzen einen unüberwindlichen Widerwillen gegen das Walddorf und seine Umgebung hätte, als triebe  die kleinen Geschöpfe eine geheime, unergründbare Macht, das Gebiet des Dorfes ängstlich zu meiden. Denn ein Meusebacher würde sich nicht mehr wundern, wenn ein buntgefiederter, kreischender Papagei über das Dorf hinflöge, als wenn ein munterer Sperling sein “Schuck, schuck” plötzlich vor einer Scheuer hören ließe.
Das aber soll also zugegangen sein:
 

In Meusebach wohnte einmal ein Schulze, der hieß Leonard und hatte einen Sohn, welcher zuerst das alte Herkommen verachtet und, statt daheim zu bleiben in seinem kleinen Dorfe bei Vater und Mutter, auf und davon ging in die weite Welt. Lange nun wusste kein Mensch im Dorfe etwas von des Schulzen Sohn, und niemand kümmerte sich um den Fortgegangenen, noch grämte sich jemand sehr um sein Scheiden und Ausbleiben. Nur seine Eltern  und Geschwister dachten manchmal an ihn und sprachen wohl auch des Sommerabends vor der Haushütte auf der Bank oder an langen Winterabenden in der warmen Stube von dem fernen Sohne und Bruder.
Da nach langen, langen Jahren kam er wieder heim und war kaum wiederzuerkennen, so sonnenverbrannt und verändert war er und so wild sah er aus. Aber er war reich geworden, unermesslich reich und war weit in der Welt herumgekommen.
Nun traf es sich aber gerade, dass am Tage darauf, nachdem er heimgekehrt war, die Hochzeit seiner jüngsten Schwester mit einem reichen Burschen aus dem Dorfe gefeiert wurde. Der reiche Bruder schenkte der Braut zu diesem Feste ein kleines Kästchen, aus welchem, als es geöffnet wurde, zwei kleine Vögel zwitschernd herausflogen, welche er Sperlinge nannte und an denen nicht nur seine Schwester, sondern das ganze Dorf seine Freude hatte.
Allein nicht viele Jahre vergingen, als die Sperlinge sich in erschreckender Weise vermehrt hatten, und mit jedem Jahre wuchs die Anzahl der Vögel immer mehr und mehr, so dass die Sperlinge wegfraßen, was die Bauern gesäet hatten, und Felder, Bäume und Wiesen dermaßen verheerten, dass die Bauern statt ihrer Ernte nur das leere Nachsehen hatten.
Allerlei Mittel wurden angewandt , die gefräßigen Tiere zu vertreiben, aber keines half, und die Verlegenheit der Bauern wurde immer ärger und größer. Da, als ihre Not am größten war, kam ein Jägerbursche ins Dorf gewandert, ein lustiger, gewandter Gesell in grüner Waidmannstracht, der wohl bewandert war in allerlei Künsten und, als er die Verzweiflung der Bauern sah, ihnen zu helfen versprach, wenn man ihm erlauben wollte, aus den schönen Wiesen Holz und Wald zu machen und überall Bäume anzupflanzen.
Das gaben nun die geängstigten Meusebacher von Herzen gern zu, wenn sie dadurch nur vom Meister Spatz und seiner Familie befreit würden.
Der Jägerbursch aber kaufte zwei Wagen Fichtensamen und einen Wagen Bucheckern, die säte und pflanzte er unter kräftigen Bannsprüchen viele Tage lang auf den weiten Feldern und Wiesen. Und siehe da, als das letzte Feld besäet war, da waren auch die Sperlinge weg und verschwunden auf Nimmerwiedersehen. Denn er hatte den Spatz und seine ganze Sippe auf so viele Jahre verbannt, als er Samenkörnchen ausgestreuet und Bäume gepflanzt hatte. So wird es denn noch eine geraume Zeit dauern, ehe des Jägerburschen Zauber gebrochen wird und die ersten Sperlinge wieder in Meusebach ihren Einzug halten. Wir wenigstens werden es wohl nicht erleben
.

Die Illustration ist von Hans Wiegant entnommen aus dem Buch “Holzlandsagen”, Heinicke / Ost, Jena 1968